Kulturstiftung Hohenlohe

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Presseinformationen

"Rübezahl und der Klang mystischer Gläser" - von Andreas Dehne, Hohenloher Zeitung, 5.9.19

Rübezahl, komm und friss mir diesen Schreier.“ Der Sprecher Henning Westphal lässt die arme Mutter Else in ihrer Verzweiflung Dinge über ihr kleinstes Kind sagen, die sie bald bereuen wird. Sie hat einen Mann, der sie schlägt und ist bettelarm. Vier Kinder begleiten sie auf ihrer Suche nach Laub für die Ziegen. Davon eines an der Brust, eines auf dem Rücken und eines an der Hand. Rübezahl bewundert sie dafür. „Lieber Gott, was für ein gutes Geschöpf ist doch eine Mutter.“
Henning Westphal liest die Geschichte aus „Rübezahl und der Glashändler“ von Johann Karl August Musäus sehr frei nach dem Original – aber sehr lebendig und emotional ergreifend. Er schildert die Geschichte so eindrücklich, als wäre sie erst gestern passiert. Und als wäre er persönlich mit dabei gewesen. Passend zur Glaskunst des Riesengebirges steht an seiner Seite Susanne Würmell. Vor ihr reihen sich auf einem transparent wirkenden Tisch viele unterschiedliche Gläser auf. „43 handgearbeitete und mundgeblasene Kristallgläser, die in der Glashütte Eisch hergestellt und anschließend von mir geschliffen worden sind, um jedes einzelne Glas korrekt zu stimmen“, erklärt sie dem Kultursommer-Publikum.
Peer Gynt Sie eröffnet den Abend mit dem „historischen Instrument, das eine jahrhundertelange Tradition hat“, indem sie darauf Edvard Grieg spielt. Aus der Peer-Gynt-Suite Nr. 1 die „Morgenstimmung“. Die knapp 60 Zuhörer im etwa zur Hälfte besetzten Festsaal des Bandhauses hören eines der bekanntesten klassischen Werke in einer wohl noch nie wahrgenommenen mystischen Zerbrechlichkeit des Klanges. Was Würmell mit dem Streichen ihrer Finger den Gläsern an Melancholie und Zartheit bis in die höchsten Töne entlockt, grenzt an märchenhafte Zauberei. Irgendwo zwischen den Welten die Ewigkeiten berührend, vermag niemand diese überirdisch anmutenden Klänge durch Applaus zu stören. „Es war einmal“, setzt Westphal zur Geschichte von Rübezahl im Stile der klassischen Märchen an, um seine Rezitationen zum Herrn der Berge immer wieder für die sinnlichen Klangerlebnisse zu unterbrechen.
Susanne Würmell spielt „In der Halle des Bergkönigs“, untermalt von sparsamst eingespielter Klavierbegleitung. Rübezahl hat dem schlagenden Ehemann eine ordentliche Lektion erteilt. „Zeitlebens kann ich mich von diesem Unglück nicht mehr erholen“, jammert Westphal mit gebrochener Stimme. Für die Ehefrau jedoch gibt es ein Happy End – sie ist dank Rübezahl reich und der Ehemann zahm. Susanne Würmell spielt dazu die „Hymne à l’amour“, die Hymne der Liebe von Edith Piaf. Der Herr der Berge schafft mit seiner Glaskunst das zerbrechliche, jedoch überirdisch schön klingende hohe Lied der Liebe. Nach lang anhaltendem Schlussapplaus verabschieden sich die beiden Protagonisten des Abends mit dem „Perlenkönigin“ von Ludwig Bechstein als Zugabe.
Liebe Susanne Würmell begleitet es mit den „Caprifischern.“ Und die Zuschauer singen dazu. „Bella bella bella Marie, vergiss mich nie.“ Was für ein zauberhafter zerbrechlicher Moment des Lebens. Was für ein Abschied. Was für eine melancholische, fragil anmutende Liebeserklärung an das Leben. Das kongeniale Duo verabschiedet sich grandios von Rübezahl und verschweigt dabei die wenig märchenhafte Wahrheit. Bei Musäus zieht der „kleine Schreier“ später als „wackerer“ Soldat in den 30-jährigen Krieg. Henning Westphal zieht der gefühlsbetonten Stimmung angemessen den klassischen Schluss vor. „Und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute.“
Im Schloss Neunstetten haben sie wirklich noch einmal gelebt. In kleinen Kristallgläsern von einfühlsamen Händen zart und grandios zum musikalischen Leben erweckt.