Kulturstiftung Hohenlohe

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von der Kulturstiftung

Wenn man über Musik nicht mehr reden oder schreiben kann ? - von Dr. Dieter Fischer, Hohenloher Zeitung 19.07.2016 (Originalartikel des Verfassers)

Wer hätte das voraus gedacht: Man entschließt sich im Rahmen
des „Hohenloher Kultursommers“ zu einem Konzert des „ Trio Akk:zent“ mit  drei jungen Österreichern Victoria Pfeil (22),
Paul Schuberth (22) und Johannes Münzner (26) im Zehntkeller von Hohebach und
findet am Ende kaum noch zu einem Wort.  Und so ergeht es am vergangenen Samstagabend vielen.
Nahezu alle Plätze sind besetzt. Jung und Alt eilen von nah und fern herbei, um
erneut einen singulären Abend mit „Jungen Talenten“ zu erleben. Vielleicht ziehen
auch die konzertant selten zu hörenden Instrumente in ihren Bann – Akkordeon,
Steirische Ziehharmonika und Saxofone von Sopran bis zum Bass.

Ganz normale junge Menschen, unauffällig gekleidet kommen da
die Treppe aus dem „Backstage“ herunter. Kurze Verbeugung, dann wird es still.
Stiller kann es gar nicht werden. Und noch immer kein erster Ton. Fast selbstvergessen
sitzen die Drei mit geschlossenen Augen da. Schier absichtslos und ungewollt folgt
man ihnen ins ferne Land, von woher dann die ersten leisen Töne kommen. Ein
grandioser, ja genialer Beginn! Vorsichtige Schwingungen, rhythmisch leicht untermalt,
bereiten die ersten Melodien vor. Deren Tempo nimmt zu, die Klänge drängen mit Verve
nach vorne, Klangwelten türmen sich auf. Man vergisst förmlich, in Hohebach im
Zehntkeller zu sitzen. Das Reich der Musik öffnet seine Tore an diesem Abend weit.

Hier wird keine Musik performt, keine dargeboten, keine
interpretiert oder mit eigener Kunstfertigkeit brilliert. Takt für Takt spürt
man das künstlerische Einvernehmen der drei Musiker untereinander – ein Wir von
seltener Güte verbreitet sich wohltuend im Raum und nicht nur auf der Bühne.

Konkret erlebt man exzellente Musik für Saxofon und zwei
Akkordeons, manchmal meditativ ausschwingend, dann wieder träumerisch webend,
dann berstend voller Drive und stark rhythmisiert, an Musik aus dem Balkan oder
an Klezmer-Klänge erinnernd. Hinzu kommen Anleihen aus dem Jazz, die in
Free-Jazz übergehen. Ab und an entdeckt man kleine Melodienbögen, fugenartig
verarbeitet, als sei J.S. Bach kurz zu Gast gewesen; ein andermal formieren
sich Akkordmassen, als brauste eine Kirchenorgel auf. Doch plötzlich – was ist
das? Die Melodie des berühmten Madrigals von H.L. Hassler (1564-1612) „Tanzen
und Springen, Singen und Klingen … zu musizieren und jubilieren steht
mir all mein Sinn“  huscht wie ein
Sonnenstrahl über eine blühende Sommerwiese. Und immer wieder das Saxofon von
Victoria Pfeil traumhaft gespielt - sicher kein Instrument aller Freunde von
Musik. Doch an diesem Abend erlebt man Himmelstöne voll seltener Zartheit und faszinierender
Schönheit – dazu von grandiosem Improvisationstalent begleitet.

Einen „Programmzettel“ gibt es nicht. Die meisten Musikstücke
tragen keinen Titel. Dafür entschädigen eingestreut total köstliche, ja witzige
Anmerkungen von Paul Schuberth. Sie holen die Zuhörer für kurze Zeit zurück und
zaubern bei vielen ein Lächeln auf deren Gesicht.

Dann die Pause. Eine verdiente, für manche vielleicht auch
störende Unterbrechung bei Getränken und köstlichen Butterbrezeln. Den Helfern
sei Dank. Ins Gespräch finden viele nur mühsam. Man ist innerlich noch weit weg
– und gleichzeitig beschäftigt mit der bangen Frage, wie es denn nach der Pause
weitergehen wird. Ist nicht vor der Pause schon alles gesagt?

Und es ging weiter, anfangs ein wenig mühevoll, doch bald
finden die drei Ausnahmekünstler wieder zurück - zu sich, zu ihrer Musik, zu
uns dank Esprit und Energie in großer Dichte.

Der Abend – was für ein Geschenk - stand unter dem Titel „So
oder so“. Das deutet auf Unentschiedenheit, Ambivalenz oder auch auf
Beliebigkeit hin. Das Gegenteil war der Fall: Hier gab es Musik in reinster
Form ohne Wenn und Aber, ohne Eitelkeit oder gönnerhafte Gesten. Als
faszinierte Zuhörer nahm man gebannt und ungewollt an einem Akt der Schöpfung
teil, wie man ihn nur wenige Male in seinem Leben erlebt. Und fragt jemand, wie
denn Musik sein soll, dann eben nicht „so oder so“, sondern schlicht, einfach
und dankbar berührt: „so“. Mehr darüber zu reden oder zu schreiben ist gar nicht
vonnöten. Es war kein Event, nein es war Kunst – es war Musik!